„L‘ étrange Couleur des larmes de ton corps“ heißt der zweite Spielfilm des Regieduos Bruno Forzani und Hélène Cattet. Ihr Erstling „Amer“, erschienen 2010, war eine bildgewaltige Hommage an die Giallo-Streifen der sechziger und siebziger Jahre. Auch mit ihrem aktuellen Film greifen Cattet und Forzani ästhetische und erzählerische Mittel des italienischen Thriller-Subgenres auf, das durch Regisseure wie Mario Bava und Dario Argento geprägt wurde.
Das folgende Interview fand im Spätsommer 2014 in Stuttgart statt, wo das Paar seinen Film beim Fantasy Film Fest vorstellte. Cattet und Forzani sprechen über ihre Faszination für das Giallo-Genre, über die Bedeutung der Musik und warum Bilder manchmal mehr als Dialoge sagen.
M. Forzani, Mme Cattet, „L‘ étrange Couleur des larmes de ton corps“ ist Ihr zweiter Langfilm, der sich mit dem heute unüblichen Genre des Giallos beschäftigt. Wie ist Ihre Faszination für diese Filme entstanden?
Bruno Forzani: Der erste Kontakt war für uns beide Dario Argento’s „Profondo Rosso“. Als ich ein Teenager war, habe ich viele Giallo-Filme angeschaut. Meine Frau kannte sie erst gar nicht. Als ich ihr dann „Profondo Rosso“ zeigte, war sie völlig begeistert.
Hélène Cattet: Ja, für mich war es ein absolutes „Wow“-Erlebnis.
Und dieses Erlebnis hat Sie dann auf die Idee gebracht, selbst einen Giallo zu drehen?
B.F.: Ja, weil es für uns das perfekte Genre war, um künstlerisch zusammenzufinden. Wir ergänzen uns in der Arbeit. Ein guter Giallo entsteht einerseits aus der spannenden Geschichte, andererseits aus der Fähigkeit des Filmemachers, zu experimentieren. Man braucht schon ein starkes Verständnis von technischen Aspekten. Von Montage, von Architektur, Musik und Framing…
H.C.: Mich interessiert vor allem der Umgang mit Schnitten! Die Bildsprache ist ikonographisch und außergewöhnlich, man erkennt einen Giallo sofort.
Das liegt auch an der Musik….
H.C.: Ja genau, Giallo-Musik ist sehr typisch.
Sie setzen meistens auf alte Stücke der Band „Goblin“ oder von Ennio Morricone, zum Beispiel. Haben Sie auch darüber nachgedacht, für ihren Film selbst einen Score zu entwickeln?
H.C.: Nein, eigentlich nicht. Wir mögen diesen besonderen Sound der Musik von damals sehr. Wir glauben nicht, dass man das heute so wieder herstellen kann. Die Atmosphäre der Stücke ist einzigartig, es gibt nichts Besseres!
Wir haben eine große Sammlung dieser Filmmusik und wenn wir am Drehbuch arbeiten, hören wir uns die Sachen im Hintergrund an. So entstehen die besten Ideen. Die einzelnen Szenen sind dann schnell mit einem bestimmten Stück verbunden.
B.F.: Naja, vielleicht könnte man diesen Sound schon selbst herstellen. Es gibt tolle Computerprogramme, mit denen man eine Menge anstellen kann. Aber eine eigene Musik zu komponieren und von einem Orchester einspielen zu lassen, ist wahnsinnig teuer!
Vor allem jüngere Zuschauer sind vom Horrorgenre fasziniert. Dabei sind häufig Filme Kassenmagneten, die inhaltlich einfach gestrickt sind und auf Effekte setzen. Glauben Sie, dass experimentelle Herangehensweisen im Horrorfilm trotzdem funktionieren?
B.F.: Wir machen eigentlich gute Erfahrungen. Unser Film erscheint weltweit. Natürlich ist er kein Blockbuster, aber er läuft! In Frankreich wurde er sogar in einigen Multi-Plex-Kinos gezeigt. Ich glaube, dass vor allem außergewöhnliche Filme auf dem Markt eine Chance haben. Jemand, der unbekannt ist und einen durchschnittlichen Film macht, hat es schwer, aufzufallen.
H.C.: Ja, man muss eine Nische finden, dann funktioniert es!
Ich habe gehört, dass Sie 10 Jahre an „L‘ étrange Couleur…“ gearbeitet haben. Stimmt das?
B.F.: Ja, wir haben mit der Arbeit am Script 2002 begonnen, haben dann aber erst einen Kurzfilm gemacht, der auch auf der DVD unseres ersten Langfilms „Amer“ enthalten ist. Wir hatten zunächst gar kein Geld, um einen Film wie „L‘ étrange Couleur“ zu drehen. „Amer“, unser erster Langfilm, war wesentlich leichter und günstiger zu realisieren. In „Amer“ haben wir unsere Idee, die Linie zwischen Traum und Realität verschwimmen zu lassen, zuerst ausprobiert. Danach haben wir uns wieder mit dem Drehbuch von „L‘ étrange Couleur“ beschäftigt und haben es überarbeitet. Nach den Erfahrungen mit „Amer“ und mit einem größeren Budget konnten wir die Geschichte dann umsetzen.
Interessant an „L’étrange Couleur“ ist, wie Sie mit Witz und Humor arbeiten. Für einen Giallo ist Ihre Herangehensweise manchmal ungewöhnlich…
H.C.: Oh ja, viele Zuschauer merken zunächst gar nicht, dass wir Scherze in die Handlung einbauen. Sie erwarten das nicht. Aber es geht darum, eine Balance zu finden.
Es scheint, dass Sie aus vielen Inspirationsquellen schöpfen, die nichts mit dem Giallo zu tun haben. Die Schwarz-Weiß-Szenen zum Beispiel wirken, als wären sie dem Stil von Graphic Novels entlehnt…
H.C.: Das ist witzig! Es stimmt, dass wir uns von vielen Dingen beeinflussen lassen, häufig läuft das unterbewusst ab. Mit den Schwarz-Weiß-Szenen beziehen wir uns aber ganz konkret auf eine feministische Kurzgeschichte aus dem Neunzehnten Jahrhundert, „Die gelbe Tapete“ (von Charlotte Perkins Gilman, Anm. d. Verf.).
B.F.: Die Tatsache, dass diese Szenen in Schwarz-Weiß und im Stop-Motion-Verfahren animiert sind, hat mit unserem Verständnis des „Story-Tellings“ zu tun. Wir versuchen unsere Geschichte mithilfe verschiedener kinematographischer Verfahren zu erzählen.
Die Geschichte entwickelt sich also über Anspielungen, die man entschlüsseln muss?
B.F.: Genau. Am Anfang mag das verwirrend sein, aber wenn man den Film mehrfach anschaut, versteht man immer mehr die Bedeutung dieser Elemente und Anspielungen. Es ist wie mit den Filmen von David Lynch. Beim ersten Mal versteht man Vieles nicht, beim zweiten, dritten, vierten Mal schält sich die Geschichte aber immer klarer heraus.
Lassen Sie uns über das Haus in Ihrem Film sprechen. Auf mich wirkte es fast wie ein eigenständiger Charakter.
H.C.: Das ist richtig. Zuerst haben wir am Script gearbeitet, ohne einen Schauplatz im Kopf zu haben. Wir leben in Brüssel, wo es alte Häuser mit wunderbaren Art-Nouveau-Fassaden gibt. Diese Bauten sind faszinierend und wirken ein bisschen rätselhaft. Während der Vorarbeiten haben wir uns verschiedene Häuser angeschaut…
…Und Sie sind dann auf das perfekte Haus gestoßen?
H.C.: Das Gebäude im Film ist tatsächlich eine Konstruktion aus sieben verschiedenen Häusern. Wir haben die Räume mehrerer Häuser zu einer Art Labyrinth verbunden, das war unsere Idee. Wir wollten außerdem perspektivische Regeln brechen, um den labyrinthischen Charakter zu betonen.
Auch erzählerisch nehmen Sie eine neue Perspektive ein, die für den Giallo untypisch ist. Normalerweise gibt es einen männlichen Täter und ein weibliches Opfer. In Ihrer Geschichte dreht sich diese Täter-Opfer-Konstellation aber um.
H.C.: Das hat mit unserer Form der schizophrenen Arbeitsteilung zu tun. Wir schreiben unsere Geschichten gemeinsam, wollen dabei aber unsere manchmal verschiedenen Sichtweisen einbeziehen. Es gibt eben nicht nur den männlichen Regisseur, ich bin ja auch da.
B.F.: Es ist ein demokratischer Prozess. Zwei unterschiedliche Sichtweisen sind doch viel interessanter. Wir zeigen mal die männliche, mal die weibliche Sichtweise.
Kritiker werfen dem Giallo vor, er sei oft frauenfeindlich…
H.C.: In unserem Film kann eine Frau genauso grausam wie ein Mann sein, das ist nur fair!
(Die deutsche DVD/Blu-Ray erscheint am 29.01.2015 bei Koch Media unter dem Titel „Der Tod weint rote Tränen“.)